Bautzen- ein kleines verschlafenes 40.000-Seelen Nest in der sächsischen Pampa, bekannt für den allgegenwärtigen Senf und vielleicht noch für die berüchtigte Straftanstalt Bautzen II in der sowohl das NS-Regime als auch die Stasi unliebsame politische Gegner temporär oder permanent verschwinden ließ. In dieser guten alten Tradition hat sich der MSV Bautzen 04 e.V. eine Turnierform überlegt, die die nationale Crossminton-Gemeinde an die Grenzen der physischen und seelischen Belastbarkeit führt – das alljährliche Mitternachtsturnier! Anbei das potentiell lückenhafte Gedächtnisprotokoll…
Freitag, 03.Februar
14.45
Die schwarze Limousine inklusive Blablacar Chauffeurin und einem breit grinsenden Charly fahren am Bahnhof Fischbach vor. Es kann losgehen.
14.45 – 18.00
Vorbei an den verschneiten Regionen Südostdeutschlands fressen wir BAB-Kilometer… Bayreuth, Hof, Plauen, Zwickau, Chemnitz verschwinden genauso schnell im Rückspiegel wie sie aufgetaucht sind.
18.00
Unsere Chauffeurin verlässt uns am ElbePark in Dresden. Jetzt sind wir auf uns allein gestellt. Ein guter Anlass die Energie-Speicher zu füllen. Die logische Konsequenz: All You Can Eat Buffet beim China-Mann
19.30 – 21.00
Abschlusstraining in Radeberg. Rutschiger Granulat-Boden und gleißend-helle Blendscheinwerfer bringen mich aus dem Konzept und strapazieren mein Nervenkostüm. Eine durchwachsene Generalprobe. Mir schwant Böses vor morgen.
23.00
Ein Schlummertrunk an der Hotelbar des Best Western Bautzen mit den gerade eingetroffenen Poingern beruhigt die Gemüter und wirft Fragen auf. Ist der rosa Cocktail Paul’s Geheimrezept – der Schlüssel ihn endlich mal zu besiegen? Ich werde das weiter beobachten.
Samstag, 04. Februar
01.30 – 09.00
… 124 Speeder … 125 Speeder … 126 Speeder … zzzzzzz
09.00 – 11.00
Frühstück und kurze Stadtbesichtigung. Die Highlights der pittoresken Altstadt sind schnell abgegrast. Nach und nach trudeln die Spieler aus allen Ecken des Landes ein.
11.00 – 17.00
Delegiertenversammlung. Eine diskussionsfreudige Meute hat sich zusammengefunden um die aktuellen Belange aller deutschen Crossminton-Jünger zu erörtern.
Hier die wichtigsten Entscheidungen in Kürze:
- Neuer Vorstand inklusive neuem ersten Vorsitzenden Torsten Köhler
- Verschiebung der Liga-Spielzeiten (August – März)
- Einführung eines nationalen Pokalwettbewerbs
- Gründung einer Turnier-Kommission
- Erhebung eines Mindestmitgliedsbeitrags von 50 EUR pro Verein
18.00
Geplanter Turnierstart. Die Jugend-Konkurrenz ist noch in vollem Gange. Da können wir schon mal entspannt die erste Stunde Verspätung einplanen. Leichtes Anschwitzen. Die Gegner sondieren. Bekannte Gesichter begrüßen. Erste Taktik-Besprechung für die anstehende Doppel-Konkurrenz mit dem frisch gewählten 2. Vorstand Sven-Torben Wedde. Wir sind zwar an Nummer 4 gesetzt, haben aber noch nicht eine Minute gemeinsam auf dem Court gestanden. Zumindest sollte uns die Setzliste die ganz schweren Brocken bis zum Halbfinale erstmal vom Leib halten.
19.30
Das Turnier wird feierlich eröffnet. Die diesjährige Veranstaltung ist dem kürzlich verstorbenen Bautzener Crossminton Urgestein Hartmut Giering gewidmet. Die Anspannung steigt.
19.45
Unser Startschuss in die Doppelkonkurrenz. Die erste Hürde scheint machbar. Es geht gegen ein lokales No Name Mixed-Doppel aus Bautzen. Die Gegenwehr ist überschaubar. Dennoch nehmen wir uns in beiden Sätzen eine kleine unbeabsichtigte Auszeit, die dem Gegner wieder einen Funken Hoffnung schenkt. Kommunikation und Körpersprache passen aber und in der Crunch Time sind wir wieder voll da und bringen das Match souverän nach Hause. Ein gelungener Auftakt.
20.55
Das nächste Doppel-Match steht an. Es geht gegen die Lokalmatadoren Köhler/Selge. Wir spielen einen starken ersten Satz und fideln die beiden ungefährdet vom Platz. Der zweite Satz ist deutlich umkämpfter. Es schleichen sich unnötige Fehler und Unkonzentriertheiten in unser Spiel ein. Der dritte Satz muss die Entscheidung bringen. Wir können den Druck wieder erhöhen und setzen uns in einem engen Satz letztlich durch. Halbfinale, Baby!
22.20
Alle 4 topgesetzten Doppel haben sich ins Halbfinale gespielt. Die Luft wird merklich dünner. Jetzt geht es gegen das an Nr. 1 gesetzte Doppel Matthes(Bautzen)/Jöhnk(Wolfsburg). Wir gehen als Underdog in das Match. Matthes dominiert den ersten Satz mit seinen Raketenaufschlägen, aber wir lassen uns nie so wirklich abschütteln, halten dagegen und zwingen die beiden zu Fehlern. Plötzlich steht es 14-12 für uns und die Überraschung scheint zum Greifen nah. Die nächsten 4 Punkte spielen die beiden überragendes Crossminton und holen sich Satz 1. Wir verpennen den Start in Satz 2 und liegen schnell einige Punkte hinten. Wir schaffen es aber uns zurück in das Match zu beißen. Die beiden machen zu viele Fehler. Wir entführen Satz Nr.2. Satz 3 geht hin und her. Keiner gibt sich eine wirkliche Blöße, es bleibt die ganze Zeit auf Messers Schneide. Wir sind 14-13 in Front. Möglicherweise letzter Aufschlagwechsel. Es entwickelt sich eine packende Rallye die in einem Schusswechsel zwischen mir und Jonas kulminiert. Direkter Winner über seine Vorhandseite. Das ist der Genickbruch. Wir holen Satz und Match und stehen überraschend im Finale!
23.30
Mein Start in die Einzelkonkurrenz. Beflügelt vom Finaleinzug im Doppel lasse ich Niklas aus Bautzen keine Chance. Ungefährdeter 2-Satz-Sieg.
Sonntag, 05. Februar
00.20
Mit Roy Grahlke aus Poing wartet ein alter Bekannter in der nächsten Runde. Und wir haben noch eine Rechnung offen. Beim Turnier in Poing 2015 habe ich eine haushohe Führung im ersten Satz noch abgegeben und das Match kläglich verloren. Aber heute ist er fällig. Ich habe einen Matchplan. 90% der Bälle gehen auf seine Rückhand. Satz 1 geht souverän an mich. Im zweiten Satz verliere ich irgendwie den Faden, gebe den Satz unnötig deutlich ab. Roy versucht es mit Psychospielchen, aber heute kriegt er mich nicht. Der dritte Satz läuft wieder besser… ich kann ihn letztlich klar in die Schranken weisen und den Satz und damit das Match für mich entscheiden.
01.30
Das Losglück ist mir nicht hold. Es wartet die Nr. 1 der Weltrangliste Sönke Kaatz. Im ersten Satz schießt er sich so richtig schön warm. Überragend platzierte und harte Smashs aus dem hinteren Drittel des Feldes zeigen mir deutlich meine Grenzen auf. Ich bringe zwar viel zurück und zwinge ihn so das Risiko zu erhöhen, aber für mehr als 10 Punkte in Satz 1 reicht es nicht. Der zweite Satz ist noch enger, ich bleibe lange in Schlagdistanz, habe aber nie wirklich das Gefühl ihm gefährlich werden zu können. 16-14. Der Siegeszug findet ein jähes wenn auch erwartbares Ende.
02.15
Trostrunde. Das Turnier wird im einfachen Doppel-K.O. Modus durchgeführt, d.h. es gibt die Chance sich nochmal zurück ins Hauptfeld zu spielen. Es geht gegen den frisch-gebackenen Bautzener Vereinsmeister Stephan Weise. Mein Akku läuft bereits auf Reserve und es entwickelt sich ein gutes, wenn auch zähes Spiel. Am Ende reichen die Kräfte nicht mehr. Ich verliere das Match relativ deutlich mit 0-2. Ich kann mein Bett schon lautstark nach mir rufen hören.
04.15
Doppel-Finale. Torben (ICO-Rank 91) und ich (ICO-Rank 111) treffen auf Sönke Kaatz (ICO-Rank 1) und Robin Joop (ICO-Rank 6). Deutlicher könnte die Favoritenrolle nicht verteilt sein. Die beiden haben gerade souverän ihre Einzel-Halbfinals gewonnen und stehen voll im Saft. Wir hingegen schleppen unsere müden Körper nach 1.5 Stunden Untätigkeit mit letzter Reserve auf den Platz. Es fühlt sich an als würde ein betrunkener Kirmes-Boxer Vladimir Klitschko zum Duell fordern. Und so endet es auch. Mit einer richtig bösen Tracht Prügel. Wir werden vernichtend geschlagen und müssen neidlos anerkennen, dass die beiden Jungs in einer ganz anderen Liga spielen.
04.40
Open-Finale. Sönke und Robin konnten im Doppel-Finale ja gut mit ihren Kräften haushalten. Nichtsdestotrotz ist auch das Herren-Finale eine deutliche Angelegenheit. Sönke kann sich klar in 2 Sätzen behaupten und gewinnt das Turnier hochverdient.
05.00
Siegerehrung. Die siegreichen Helden holen sich ihren verdienten Lohn ab. Ein anstrengender, aber durchaus erfolgreicher Turniertag geht zu Ende. Selten hat sich eine Dusche so gut angefühlt. Jetzt noch ein paar Stunden Schlaf bevor es dann morgen wieder zurück geht! Ein toller Start in die Saison 2017!
Mehr Infos zum Turnier in Sachsen erhält man hier.
Klasse!
Bitte mehr von diesen sehr anschaulichen und motivierenden Berichten!
Das animiert sicherlich andere Spieler beim nächsten Mal auch dabei zu sein!
Super Bericht!
Vielen Dank dafür!
Super geschrieben 🙂 Daumen hoch 😉
Bis demnächst auf der Tour !!!